Beschreibung
ISBN: 978-3-941146-86-0
Beschreibung
Neben dem Sehen gehört auch das Hören zu den wichtigsten Sinnen von Menschen. Diese Sinne tragen als Fernsinne am meisten dazu bei, Informationen über die Umwelt, aber auch über sich selbst als Individuum in der Umwelt zu erhalten. Hat ein Mensch Beeinträchtigungen bezüglich eines Sinnes, entgehen ihm Informationen und Erfahrungen.
Noch weniger Alltagseindrücke erfahren Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung. Sie benötigen deswegen jede ihnen zur Verfügung stehenden Zugänge zur Welt, die ihr Leben um neue Eindrücke, Erfahrungen und geistige Konzepte bereichern. Außerdem ist es wichtig, Menschen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung die Möglichkeit zu bieten, die evtl. verbleibende Hör- und Sehfähigkeit effektiv zu nutzen sowie die individuellen Hilfsmittel zu optimieren.
Gerade für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung kann das Hören für die ganzheitliche Entwicklung ein weiterer Zugang zur Welt sein, der mit besonderen Herausforderungen verbunden ist. Grundlegend hierfür sind eine sehr individuell angepasste und taubblindenspezifische pädagogisch-audiologische Testung und interdisziplinäre Diagnostik, um genauere Erkenntnisse über das vorhandene Hörvermögen zu gewinnen und darauf aufbauend die Hörhilfen immer besser einstellen zu können. Die Kurzfassung der Arbeit der Pädagogischen Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung lautet daher: In kleinen individuellen Schritten immer näher und näher an die Hörschwelle gelangen mit dem Ziel, in Kooperation mit anderen Berufsgruppen sowie Personen aus dem Umfeld der Kinder und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung alltägliche Situationen sowie ggf. die technische Versorgung zu optimieren.
Warum eine Pädagogische Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung einer noch größeren Spezifik bedarf als eine reine Kinderaudiometrie, wird in diesem Buch mit ergänzenden Videosequenzen veranschaulicht.
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Vorwort von Dr. Rainer Linus Beck
1 Zwischen gestern und heute
2 Die Geschichte von Mike
3 Eine Pädagogische Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung
3.1 (Individuelle) Kinderaudiometrie, eine Herausforderung, die sich lohnt
3.1.1 Spezifik der Kinderaudiometrie: Die „Pädagogische“ Audiologie
3.1.2 Besondere Kinder und Jugendliche brauchen eine individuelle Pädagogische Audiologie
3.1.3 Jetzt erst recht: Neue Grenzen des Möglichen? Oder nichts ist unmöglich?
3.2 Rahmenbedingungen
3.2.1 Der „Mehrwert“ der Pädagogischen Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung der Stiftung St. Franziskus
3.2.2 Personelle Rahmenbedingungen – Das Team
3.2.3 Räumlich-sächliche Rahmenbedingungen in der Pädagogischen Audiologie
3.2.4 Zeitliche Rahmenbedingungen
3.2.5 Finanzielle Rahmenbedingungen
3.2.6 Interdisziplinarität
4 Diagnostik
4.1 Was ist der Auftrag für das Team der Pädagogischen Audiologie des SSBZ Sehen der Stiftung St. Franziskus?
4.2 Fremdanamnese
4.3 Kennenlernen und Vertrauensaufbau
4.4 Vorbereitung auf und fließender Übergang zur Testung
4.4.1 Ankündigung der Audiometrie und Wegebegleitung
4.4.2 Raumerkundung der Kinder und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung
4.4.3 Kopfhörertraining
4.4.4 Übungsphase
4.4.5 Testung
4.4.6 Videoanalyse
4.5 Auswertung und Schlussfolgerungen
4.6 Interdisziplinäres Auswählen und Anpassen von Hörhilfen
4.7 Hören im Alltag und Hörförderung
4.8 Yes, we can!
5 Sonstige Aufgaben
5.1 Kindbezogene Beratung
5.2 Ansprechpartner für Hörtechnik
5.3 Schulung, Fachvortrag, Fortbildung, Weiterentwicklung
6 Qualitätssicherung
7 Perspektivische Weiterentwicklung
8 Fazit
Literaturverzeichnis
Glossar
Autorinnen
Danksagung
„Dankbarkeit ist das Gedächtnis des Herzens“
(Jean-Baptiste Massillon)
Es ist geschafft – Sie halten das Buch über unsere Arbeit in der Pädagogischen Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung in den Händen.
Von den ersten Testungen von Kindern und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung und den daraus entstandenen Visionen bis hin zu diesem Buch war es mitunter eine regelrechte Pionierarbeit auf einem teilweise noch unbekannten Weg der Möglichkeiten. Wir haben uns immer wieder als Forscher und Entdecker gefühlt. Rückblickend bewegen wir uns nunmehr nach zehnjähriger Erfahrung auf diesem Weg der Hörtestungen mit Kindern und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung vertraut und mit großer Sicherheit. Mithilfe vieler Herausforderungen und alltäglichen Erfahrungen in der Pädagogischen Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung konnten wir fachlich wachsen, unverzichtbare Erfahrungen sammeln und uns so stets weiterentwickeln.
Wir haben über diese Wegstrecke hinweg immer wieder positive Resonanz erhalten und gewinnbringende Erkenntnisse aus dem Austausch mit vielen Personen/Institutionen/Fachbereichen gewonnen, ohne deren Unterstützung es dieses Werk jetzt so nicht geben würde. Wir holen deshalb jetzt ganz tief Luft, um laut und von Herzen DANKE zu sagen.
Als allerallererstes möchten wir denen danken, die der Grund für dieses Buch sind, und die uns alltäglich inspirieren: die Kinder und Jugendlichen mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung. Ihr Sein und ihre echte, unverstellte Art waren und sind stets eine Motivation für uns. Sie ermöglichen, dass wir uns in der Arbeit mit ihnen leiten lassen können. Voller Tatendrang zeigen wir ihnen die Richtung und sie geben uns die Geschwindigkeit vor.
Den Eltern und Familien dieser beeindruckenden Kinder und Jugendlichen möchten wir ebenfalls von ganzem Herzen für die offene Zusammenarbeit danken. Mit ihrem Einverständnis ist es gelungen, unsere konkrete Arbeit mit Fotos und Videobeispielen aus der praktischen Arbeit in der Pädagogischen Audiologie anschaulich zu verdeutlichen.
Frau Professorin Dr. Andrea Wanka, die von Anfang an die Bedeutung dieser Vision einer Pädagogischen Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung gesehen und uns vor allem in den Anfängen des Projekts immer wieder den Rücken gestärkt hat, gilt für die ständige Begleitung auf diesem anfänglich noch unbeschrittenen Weg ebenso ein ganz besonderer Dank, gleichwohl der Stiftung St. Franziskus, die es letztendlich auch mit kontinuierlicher Weiterentwicklung ermöglichte, Ressourcen und passende Räumlichkeiten bereitzustellen.
Anke Hennig-Schumann aus dem Oberlinhaus in Potsdam möchten wir für ihre große Bereitschaft Danke sagen, uns an ihrem Wissen über den Aufbau einer Pädagogischen Audiologie für Kinder und Jugendliche mit Taubblindheit/Hörsehbehinderung teilhaben zu lassen. Sie war unser wertvoller Coach, der uns mit vielfältigen Informationen versorgte sowie uns auch beim Projektantrag für die „Aktion Mensch“ unterstützte; in diesem Zuge auch ein großes Dankeschön an die Oberlinschule des Oberlinhauses Potsdam für die Einwilligung für Ankes Unterstützung direkt bei uns vor Ort und auch dafür, dass wir in der dortigen Pädagogischen Audiologie hospitieren konnten.
Als wir die Räumlichkeiten der Pädagogischen Audiologie neu planten, beriet uns Frau Dr. Barbara Bogner von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg im Hinblick auf die benötigten spezifischen Rahmenbedingungen. Barbara Bogner hat stets ein offenes Ohr für unsere fachlichen Fragen. Teile unseres Glossars durften wir mit Inhalten aus ihrem Buch „Hörtechnik für Kinder mit Hörschädigung – Ein Beitrag zur Pädagogischen Audiologie“ füllen. Das hat uns enorm (Recherche-)Arbeit erspart. Unglaublich stolz sind wir immer wieder auf die Möglichkeit, eine Seminarsitzung in der Fachrichtung Hörgeschädigtenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg über unsere Arbeit halten zu dürfen. Für dieses entgegengebrachte Vertrauen sind wir äußerst dankbar.
Unserem Direktor des SBBZ Sehen, Dietmar Stephan, möchten wir für das entgegengebrachte Vertrauen und die Schaffung von Freiräumen für die Entwicklung dieser besonderen Pädagogischen Audiologie danken.
Emil Stephan, dir möchten wir für das Schneiden und Bearbeiten der Videos danken.
Wir finden es wundervoll, von Westra Elektroakustik GmbH und vom Hörzentrum Oldenburg die Erlaubnis bzw. kostenlose Lizenzen erhalten zu haben, Mitschnitte der urheberrechtlich geschützten Testverfahren in den Beispielvideos nutzen zu dürfen.
Natürlich erhält auch unser Schulpädakustikerteam, das regelmäßig bei uns vor Ort ist, ein riesengroßes Dankeschön für die effektive, zielgerichtete und gemeinsame Arbeit. Der enge Austausch von Technik und Pädagogik zu allen Tages-/Nacht- und Ferien-/Urlaubszeiten ist gigantisch und ein unglaublicher Gewinn für alle Beteiligten.
Ebenfalls ein riesengroßes Dankeschön möchten wir der HNO-Klinik Freiburg, insbesondere Herrn Dr. Beck, aussprechen. Er macht es in regelmäßigen Abständen möglich, für gemeinsame Testungen und anschließende Ergebnisbesprechungen zu uns nach Heiligenbronn zu kommen und ermöglicht es uns auch, in der HNO-Klinik in Freiburg zu hospitieren, um ihn anschließend mit all unseren Fragen zu löchern.
Mit einschließen möchten wir hier ebenso jeglichen interdisziplinären Austausch mit vielen weiteren Experten diverser Fachbereiche in Form von Gesprächen oder Hospitationen. Das große Interesse an unserer Arbeit, das uns aus vielen verschiedenen Fachbereichen und Landesteilen Deutschlands entgegengebracht wurde und wird, ist für uns immer wieder ein Türöffner und Motivator für stetige fachliche Weiterentwicklung.
Viele Lektoren haben dieses Buch konstruktiv gegengelesen und uns anschließend wertvolle Anregungen zur Optimierung mit auf den Weg gegeben. Ihnen möchten wir nicht versäumen, zu danken. Hieran schließen wir auch den Dank an den Median-Verlag für die Bereitschaft an, dieses Buch mit den vielen Bildern und sogar Videos zu veröffentlichen.
Last, but not least gilt unser ganz ausdrücklicher Dank auch unseren eigenen Familien, die immer wieder verständnisvoll zurückgesteckt und, zugegebenermaßen manchmal auch verbunden mit einem Seufzer, ihr Einverständnis gegeben haben, wenn wir außerhalb der Arbeitszeiten (an Wochenenden oder in den Ferien) Zeit für die Weiterarbeit und Fertigstellung unseres Werkes benötigt haben. Mit unendlicher Geduld haben sie den „Familienladen“ ohne uns am Laufen gehalten und uns am Ende des Tages sogar wieder und wieder aufgebaut, gestärkt und motivierend zugesprochen. Wir wissen diese enorme Unterstützung sehr zu schätzen!
März 2023, Astrid Borck, Beate Alffermann, Monika Klaus und Sandra Siebert
Vorwort
Vorwort von Dr. Rainer Linus Beck
(Leiter der Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie (komm.); stellvertretender Leiter des Implantcentrums Freiburg)
Liebe Leserinnen und Leser,
oft, so oft, fehlt uns Verständnis für die Perspektive des Gegenübers. Selbst nach langen Gesprächen und viel Mühe bleibt die Verständigung dann aus. Häufig liegen die Hindernisse nicht im „was“ und „wie“ wir etwas sagen, sondern in den unausgesprochenen Vorannahmen, mit deren Hilfe unser Gehirn tagtäglich versucht, der Welt einen Sinn abzuringen: das kulturelle Bild von Familie, die Erwartungen an verschiedene Berufsgruppen, Geschlechter oder die Philosophie, welche Politik hilfreich sei. Jeder hat in den letzten Jahren selbst erlebt, wie viel Zeit und Energie für diese Abstimmung notwendig sein kann, ohne dass man sich danach besser verstünde.
Erschwerend kommt hinzu, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen davon ausgeht, dass unsere Sinneseindrücke gleich sind: Dass die Farbe grün auch grün bedeutet, was scharf ist (die thailändische Küche hat hier ein völlig anderes Grundverständnis als die mitteleuropäische) und welche Töne hoch und welche tief sind. Berührungen schenken wir nur in bestimmten Situationen Aufmerksamkeit, Gerüche werden sehr individuell verschieden wahrgenommen. So können ein Drittel der Menschen einen Geruchsstoff, der für ein pfeffriges Aroma steht, nicht oder schlecht wahrnehmen. All dies erfordert Abstimmung, Untersuchungen und Standardisierung, damit „laut“ auch „laut“ ist und wir verstehen, welches Vibrationsempfinden dem Durchschnitt entspricht. Die Welt exakt gleich wie eine andere Person zu erfahren, gelingt uns dennoch prinzipiell nicht.
Wie Personen, die ihre Sinne nicht oder nur eingeschränkt nutzen können, die Welt wahrnehmen, ist für die „Sinnesgesunden“ noch schwerer nachzuvollziehen. Oft versuchen wir uns über Untersuchungen, z. B. Hörprüfungen, einen Eindruck zu verschaffen, wie die Wahrnehmungen differieren. Schlussendlich wissen wir aber nicht, welche Farbe oder welcher Höreindruck beispielsweise dem wogenden Weizenfeld zugeschrieben werden. An der Aufgabe, uns in den Sinnesblumenstrauß des Gegenübers hineinzuversetzen und nachzuvollziehen, welche Modalität (Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen ...) die Ideen der Welt prägt, scheitern wir regelhaft.
So werden Sie im zweiten Kapitel Mike kurz kennenlernen, für den daher eine für uns offensichtlich harmlose Situation unnötig bedrohlich erscheint, und Sie werden lesen, wie diese durch die Arbeit der Kolleg:innen verstanden und somit entschärft werden kann.
Kontakt aufzunehmen, einen wie auch immer gearteten Austausch zwischen den beteiligten Personen zu ermöglichen und so mehr über die subjektive Welt von Hörsehbeeinträchtigten zu erfahren, haben sich die Mitarbeiter:innen der Stiftung St. Franziskus in Schramberg-Heiligenbronn verschrieben. Besonders diffizil ist die Arbeit in der Pädagogischen Audiologie, die die Kolleg:innen im vorliegenden Text beschreiben. Er ist das Resultat vieler Jahre an Erfahrung, stetigem wachem Hinterfragen und Ausdruck des Interesses, das Gegenüber besser zu verstehen.
In dieser Arbeit finden sich schlussendlich zwei wesentliche Gedanken wieder: Einerseits durch die fürsorgliche Zusammenarbeit von Medizin und Pädagog:innen eine adäquate Hörversorgung für die Hörsehbeeinträchtigten zu erreichen, um ihnen eine Tür in unsere Welt zu öffnen, andererseits aber auch die Möglichkeit zu nutzen, durch den Spalt eine Idee der Welt der Taubblinden zu erlangen und besser zu verstehen, wie sie ihre Umgebung erleben. Beides ist für die beteiligten Personen unabdingbar, um jedem die Chance zu geben, sich bestmöglichst zu entwickeln.
März 2023, Dr. Rainer Linus Beck