Brigitte Steinmann und Karin Pollicino
2009, 200 Seiten, broschiert, 58 s/w Abbildungen sowie zahlreiche Notenbeispiele
Beschreibung
ISBN 9783895005695
Beschreibung
Dieser Band enthält Didaktik und Methodik für die Rhythmik mit hörbeeinträchtigten Kinder und Jugendlichen. Zudem erfasst und würdigt er die auf diesem Gebiet Jahrzehnte lange Arbeit der Schweizer Rhythmikerin Mimi Scheiblauer und bezieht sie aktualisiert in die Praxisanleitung ein. Das Buch richtet sich an Pädagogen, Erzieher, Therapeuten und Eltern, die mit hörbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen arbeiten oder zusammenleben. Auch der Personenkreis, der an Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen oder geistige Entwicklung unterrichtet oder der Menschen mit schwersten Behinderungen fördert, wird davon profitieren können.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Teil I
Theoretische Zusammenhänge
1. Kurze Einführung in die Thematik der Hörschädigung
2. Begründung eines Unterrichts mit Musik und Bewegung für hörbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche
2.1 Ausgangslage
2.2 Kommunikation und Interaktion
2.3 Vibrationsempfindung
2.4 Musik
2.5 Bewegung
2.6 Sprache
2.7 Kinder und Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf
3. Rhythmik mit hörbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen
3.1 Allgemeines zur Rhythmik
3.2 Wege zu den Künsten
3.2.1 Bewegung
3.2.2 Musik
3.2.3 Bild
3.3 Persönlichkeit und Gemeinschaft
3.4 Begriffsbildung und Sprache
3.5 Musikalisch-szenisches Spiel
3.6 Tanz
3.7 Rhythmik mit Menschen mit erhöhtem Förderbedarf
4. Mimi Scheiblauer und ihre Rhythmik mit Hörgeschädigten
4.1 Lebensweg
4.2 Lebensschwerpunkte
4.3 Lebensweise
4.4 Lebensaufgabe
4.5 Scheiblauers Rhythmik mit Gehörlosen
Teil II
Anregungen für die Praxis
1. Bewegung
1.1 Grundbewegungsarten und ihre Varianten
1.2 Grundbewegungsarten und Musik
1.3 Spiel und Bewegung mit Geräten
1.4 Erweiterung des Bewegungsrepertoires und Gestalten mit Bewegung
2. Musik
2.1 Vibrationen
2.2 Musikwahrnehmung
2.3 Musiklehre
2.4 Liedgestaltung
3. Bild
3.1 Wahrnehmen von Farben und Formen
3.2 Formen und Gestalten
3.3 Bewegung und Bild
3.4 Musik und Bild
3.5 Das bildnerische Kunstwerk
4. Begriffsbildung
5. Persönlichkeit und Gemeinschaft
5.1 Ich und Du
5.2 Ich und die Gruppe
5.3 Wir sind eine Gruppe
6. Musikalisch-szenisches Spiel und Tanz
6.1 Musikalisch-szenisches Spiel
6.2 Tanz
Anhang
Musikstücke
Tonträger
Literatur
Filme
Register
Vorwort
Die Gründe, die uns bewegt haben, dieses Buch zu erarbeiten, sind vielschichtig.
Dazu gehören die Beobachtungen, dass vielerorts zunehmend ein historisches Bewusstsein schwindet und dass nach qualitativ reichhaltigem Stoff für den Musikunterricht mit bestimmten Zielgruppen gesucht wird. Das bedeutet für uns, einerseits die Geschichte nicht verklingen zu lassen und andererseits die gegenwärtige Unterrichtspraxis zu bedienen.
Deshalb ist es unser Anliegen, dem interessierten Leser die ihm vielleicht nicht oder nur wenig bekannte Zielgruppe der jungen, hochgradig hörgeschädigten Menschen nahe zu bringen. Und gleichzeitig wollen wir vor ihm das Buch der Rhythmik aufblättern und dem Praktiker zusätzlich einen Wegweiser für seine Arbeit an die Hand geben.
Uns bewegt die Rhythmik vergangenheitsbezogen als ein über Jahrzehnte gewachsenes Fach genau so wie gegenwartsbezogen ihr möglichst vielseitiger und anspruchsvoller Einsatz. Während sich Brigitte Steinmann ihrer sehr geschätzten Lehrerin Mimi Scheiblauer verpflichtet fühlt und seit vielen Jahren an der Aktualisierung und Ausweitung der Rhythmik mitwirkt, hat Karin Pollicino erst vor kurzem für ihre Diplomarbeit an den Wurzeln recherchiert und die Fülle Scheiblauers handschriftlicher Vorbereitungen für die Rhythmikstunden mit gehörlosen Schülern aufgearbeitet, auf ihre heutige Gültigkeit überprüft und praktisch ausprobiert. Wir schlagen damit eine Brücke vom Gestern zum Heute im Bewusstsein, dass eine breite
Kenntnis der Vergangenheit den Weg freimacht für ein jederzeit flexibles Handeln, das den Anforderungen der Zeit gerecht wird. Ein Zeichen für diese Brücke setzen wir auch dadurch, dass sowohl Fotos aus der Arbeit von Mimi Scheiblauer den Leser in die Vergangenheit versetzen als auch Zeichnungen von heute die Praxisanregungen verdeutlichen.
Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass sich gegenüber Scheiblauers Ansatz weder das von uns vertretene Menschenbild noch die daraus entspringende Erzieherhaltung geändert, jedoch sich das Verhalten sowohl seitens der Schüler als auch der Lehrer gewandelt hat. Deshalb halten wir auch entgegen dem derzeitigen Trend an der Fachbezeichnung „Rhythmik“ fest, anstatt die allgemein leichter verständlichere Umschreibung „Musik und Bewegung“ zu wählen, weil diese simple Bezeichnung nicht die mit der Rhythmik verbundenen Aspekte des Menschenbildes und der Methodik beinhaltet.
Während in Richtlinien und Lehrplänen aller Schulen das Fach Musik als solches oder in einem mit künstlerisch-ästhetisch umschriebenen Paket auftritt, fehlt Musik in denen der Förderschulen Hören und Kommunikation. An dessen Stelle steht die „Rhythmisch-musikalische Erziehung“ als Fach – an sich ein sehr erfreulicher Zustand, denn darunter steht ein guter Lehrplan, jedoch käme keiner auf die Idee, das Schulfach Mathematik als „Mathematische Erziehung“ zu bezeichnen. Dass Bildung in der Schule auch Erziehung ist, muss nicht diskutiert werden, aber dass Rhythmik mehr als rhythmisch-musikalische Erziehung ist, muss vertreten werden. Wir schlagen vor, das Schulfach „Musik und Rhythmik“ zu nennen. Die Rhythmik nimmt letztlich immer erst dann Gestalt an, wenn sie in Bezug zu einer Zielgruppe und die dafür zu wählenden Schwerpunkte und notwendig erachteten Zielsetzungen gebracht wird. Erst dann kann auch die Praxis im Einzelnen beschrieben und für die Anwendung aufgelistet werden. In diesem Sinne ist das vorliegende Buch – unabhängig von fachlichen Begrifflichkeiten – mit seinen allgemein gültigen Aspekten einer Rhythmik
für Jung und Alt sowie mit seiner besonderen Ausrichtung auf hörbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche zu verstehen.
Hannover, im Dezember 2008
Zu diesem Buch
Wegen der besseren Lesbarkeit wurde auf die parallele Schreibweise der männlichen und weiblichen Form verzichtet und im Praxisteil Abkürzungen für Schüler (Sch) und Lehrperson (L) eingesetzt.
In Teil II (Praxis) werden an einigen Stellen nur Querverweise auf andere Literatur eingesetzt. Das geschieht nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass darin eine Praxisanleitung schon umfassend und u. E. zu unserer Thematik genau passend vorliegt.
Rezension
Musik fühlen, sehen, hören, malen und bewegen
Ausgehend von einem holistischen Menschenbild, das nicht nur den Geist, sondern eben auch Körper und Seele mit ein-bezieht, beschreiben die Autorinnen dieses Buches eine pädagogisch-therapeutische Arbeit, die gerade für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen eine wertvolle sein kann. Sie schöpfen dabei aus dem reichen Schatz aus Aufzeichnungen von Mimi Schreiblauer, die bei Jaques-Dalcroze ausgebildet wurde und als Rhythmiklehrerin bereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem mit gehörlosen Kindern und Jugendlichen pädagogisch arbeitete. Die individualisier-te Herangehensweise steht bei ihrem Konzept von Rhythmik in der Entwicklungsförderung ganz weit oben, Binnendiffe-renzierung wird angestrebt, die Schülerinnen und Schüler sollen eben »da abgeholt werden, wo sie stehen«.
Wichtig ist den Autorinnen auch die multisensorische Ausrichtung ihrer Arbeit, so dass verschiedene Sinneseindrücke parallel ablaufen können – »So kann ein auditiver Eindruck gleichzeitig visuell, taktil und kinästhetisch vermittelt wer-den« (S. 26) – klingt wie eine gelungene Verbindung aus Musik und Bewegung, Lern- und Therapieangebot. Auch der Zugang über das bildnerische Kunstwerk oder auch durch Bewegung vorbereitetes Malen wird beschrieben, um verschie-dene Arten von Angeboten vorzustellen, die den persönlichen Ausdruck eines jeden fördern sollen.
Das Buch besticht durch seine angenehme, sofort durchschaubare Übersichtlichkeit, seine vielen sehr umfassenden un-terrichtspraktischen Anregungen sowie die mehrperspektivische Herangehensweise. Hin und wider schleicht sich zwar ein wenig umständliche, weil wissenschaftliche, Langatmigkeit ein, insgesamt haben wir es hier aber mit einem schön zu lesenden Buch über ein sehr offenes und wunderbar erfahrungsbezogenes Konzept zu tun, von dessen Art es auf dem deutschen Buchmarkt meines Erachtens gerne mehr geben dürfte.
Katrin Barthel
HörgeschädigtenPädagogik 5/2010