Manfred Hintermair & Klaus Sarimski
2016, 192 Seiten, 5 Abbildungen, 17 Tabellen, kartoniert
Beschreibung
ISBN 978-3-941146-65-5
Beschreibung
Entwicklungsprozesse hörgeschädigter Kinder im Vorschulalter werden in den Diskussionen der Hörgeschädigtenpädagogik bislang nicht mit der Aufmerksamkeit bedacht, die ihnen eigentlich zusteht angesichts ihrer Bedeutung für die Gesamtentwicklung hörgeschädigter Kinder. Zumeist stehen Fragen der ganz frühen Förderung, ermöglicht durch das Neugeborenen-Hörscreening, oder Fragen der Beschulung, aktuell angefeuert durch die Inklusionsdiskussion, im Fokus der Betrachtungen. Gleichwohl enthält die Phase der vorschulischen Entwicklung gerade auch für hörgeschädigte Kinder zahlreiche Herausforderungen in ganz vielen Entwicklungsbereichen, deren Bewältigung Voraussetzung ist für gelingende Entwicklungsprozesse im Schulalter und darüber hinaus.
In dem vorliegenden Buch werden aus drei Perspektiven Informationen zum besseren Verständnis der Entwicklung hörgeschädigter Kinder im Vorschulalter zur Verfügung gestellt. Im ersten Teil des Buches erfolgt ein aktueller Überblick zu Forschungsergebnissen der Entwicklung hörgeschädigter Kinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren. Es werden Informationen zur sprachlichen, sozial-kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung vorgestellt und es werden Ergebnisse zu den wichtigen Vorläuferfertigkeiten für das Lesen und Rechnen aufbereitet. Im zweiten Teil stellen die Autoren verschiedene Ergebnisse aus eigenen Forschungsarbeiten der letzten Jahre vor, die insbesondere die psychosoziale Entwicklung hörgeschädigter Vorschulkinder in den Blick nehmen, aber auch Informationen zur sprachlichen und kognitiven Entwicklung bereit halten. Schließlich wird im dritten Teil des Buches zum einen aufgezeigt, welche diagnostischen Möglichkeiten es gibt, um den Entwicklungsstand hörgeschädigter Vorschulkinder in den verschiedenen Entwicklungsbereichen zu überprüfen. Weiter werden Empfehlungen zur Förderung kindlicher Kompetenzen in den wesentlichen vorschulischen Entwicklungsbereichen vorgestellt.
Das Buch vermittelt dem Leser insgesamt einen Überblick zu relevanten Themen der Entwicklung hörgeschädigter Kinder im Vorschulalter und stellt dazu den aktuellen Wissensstand vor.
Vorwort
Im Jahr 2014 sind für den deutschen Sprachraum zwei Buchpublikationen erschienen, die den aktuellen Stand der Forschung sowie praktische Konsequenzen zu Fragen der Entwicklung, Bildung und Förderung hörgeschädigter Kinder dargelegt haben.
Zum einen haben Hintermair und Sarimski (2014) ein Buch zur Frühförderung hörgeschädigter Kinder vorgelegt, in dem die Leser mit dem „state of the art“ im Bereich der ganz frühen Bildung, Förderung und Erziehung von hörgeschädigten Kindern vertraut gemacht wurden, wobei sowohl die theoretischen und empirischen Grundlagen als auch die Konsequenzen für die pädagogische Zusammenarbeit mit den Familien hörgeschädigter Kinder Berücksichtigung fanden. Es konnten hier insbesondere die Grundlagen für ein familienorientiertes Konzept der Frühförderung aufgezeigt werden, das nach dem heutigen Stand der Forschung die bedeutenste konzeptionelle Orientierung für eine erfolgversprechende und insbesondere evidenzbasierte Frühförderung hörgeschädigter Kinder darstellt. Eine familienorientierte Frühförderung ist als eine gesundheitsförderliche Intervention anzusehen, durch die gute Voraussetzungen für alle zeitlich später erfolgenden kindlichen Entwicklungsprozesse geschaffen werden.
Zum anderen haben Hintermair, Knoors und Marschark (2014) ein Buch publiziert, das sich in seinem Schwerpunkt den Entwicklungs- und Lernprozessen von hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen im Schulalter widmet und dabei insbesondere die unterschiedlichen Lernstile von hörenden und hörgeschädigten Kindern auf der Basis aktueller For-schungsarbeiten herausarbeitet. Es wird dabei auch aufzeigt, welche Notwendigkeiten sich daraus für die Gestaltung von Bildungsprozessen ergeben, wenn man den Entwicklungsbedürfnissen hörgeschädigter Kinder gerecht werden will.
Wie wohl in beiden Publikationen Fragen der vorschulischen Entwicklung und Förderung hörgeschädigter Kinder mit gedacht wurden und sicherlich auch einige Studien mit berücksichtigt wurden, welche die Entwicklung hörgeschädigter Kinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren untersuchten, so ist dennoch festzuhalten, dass dieser Altersbereich bislang in Forschung wie Praxis eher randständig behandelt wurde1. Gleichwohl stellt dieses Alter eine außerordentlich wichtige Phase in der kindlichen Entwicklung dar, in der die Grundlagen für zahlreiche Prozesse der späteren kognitiven, sprachlichen, sozial-kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung gelegt werden.
Es ist deshalb das Ziel des vorliegenden Buches, sich explizit dieser kindlichen Entwicklungsstufe zu widmen und zu versuchen, eine Lücke für Forschung und Praxis zu schließen. Entsprechend wollen wir in Analogie zu dem bereits vorliegenden Buch zur Frühförderung hörgeschädigter Kinder (Hintermair & Sarimski 2014) einen Beitrag dazu leisten, dass Wissen und Erfahrungen aus Forschung wie pädagogischer Praxis in Bezug auf die Entwicklung hörgeschädigter Kinder im vorschulischen Alter zwischen 3 und 6 Jahren zusammenfassend dokumentiert werden.
Diesem Zwecke folgend ist das Buch gegliedert in drei Teile:
Im ersten Teil werden wir versuchen, den aktuellen Stand der Forschung für diesen Altersbereich aufzubereiten, wie er sich auf der Basis vorwiegend englischsprachiger Literatur derzeit darstellt. Dabei werden einerseits Ergebnisse zur sprachlichen Entwicklung hörgeschädigter Kinder im Vorschulalter vorgestellt sowie Befunde zu den in diesem Alter sich entwickelnden Vorläuferfertigkeiten für Lese- und Rechenkompetenz. Andererseits werden aktuelle Ergebnisse zur sozial-kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung hörgeschädigter Kinder im Vorschulalter vorgestellt, wobei vor allem die Rolle von sozialen Beziehungen zu Gleichaltrigen genauer betrachtet werden soll.
Im zweiten Teil des Buches, der die Kapitel 2.1 bis 2.6 umfasst, stellen wir aus verschiedenen Projekten, die wir in den letzten Jahren zumeist gemeinsam durchgeführt haben, Ergebnisse vor, die vor dem Hintergrund der Befunde aus dem ersten Teil des Buches vorhandenes Wissen anreichern, aber auch erweitern und vor allem speziell die deutsche Situation näher unter die Lupe nehmen. Dabei steht bei den durchgeführten Studien zumeist die psychosoziale Entwicklung der Kinder im Zentrum der Betrachtungen, es werden aber auch Daten zur Verfügung gestellt, welche die sprachliche und kognitive Entwicklung in den Blick nehmen. Einen Großteil der Studien haben wir an anderer Stelle bereits publiziert, allerdings zumeist in Fachzeitschriften, die für Hörgeschädigtenpädagogen nicht erste Priorität haben, sodass eine kompakte Aufbereitung für das vorliegende Buch gerechtfertigt scheint.
Der dritte Teil stellt Möglichkeiten vor, die den Fachkräften im Bereich der Frühförderung und Elementarpädagogik zur Verfügung stehen, um die verschiedenen entwicklungsrelevanten Kompetenzen im Vorschulalter in der Praxis einzuschätzen. Das Buch wird schließlich abgerundet durch Empfehlungen für die Gestaltung der pädagogischen Arbeit mit hörgeschädigten Vorschulkindern.
Für die Leserinnen und Leser bieten die drei Teile des Buches unterschiedliche Schwerpunkte, die je nach Interesse oder dem Handlungsfeld, in dem man tätig ist, gewählt werden können. Für alle – egal, ob wissenschaftlich interessiert oder aus der Praxis kommend – bietet der erste Teil eine kompakte Information zum aktuellen Forschungsstand bezüglich der vorschulischen Entwicklung hörgeschädigter Kinder. Der zweite Teil dürfte sicherlich im Wesentlichen für wissenschaftlich Interessierte von Bedeutung sein, während der dritte Teil insbesondere für die Fachkräfte an vorschulischen Einrichtungen, an denen hörgeschädigte Kinder begleitet und gefördert werden, von Interesse sein wird und ihnen für ihre konkrete Arbeit Impulse geben kann.
Wir haben aufgrund der sehr positiven Rückmeldungen zu dem von uns verfassten Frühförderbuch (Hintermair & Sarimski 2014) auch für dieses Buch die Idee beibehalten, nach den verschiedenen Teilkapiteln wesentliche Aussagen, Erkenntnisse und Herausforderungen für die Arbeit mit hörgeschädigten Kindern im Vorschulalter in einem Kasten zusammenfassend darzustellen. Damit soll es gelingen, alle Teile des Buches und seine Inhalte für möglichst viele Leserinnen und Leser, egal ob aus Wissenschaft oder Praxis kommend, gleichermaßen attraktiv zu machen.
Am Ende dieser einleitenden Worte wollen wir auch diesmal wieder gerne die Gelegenheit nutzen, Dank auszusprechen an alle, die uns bei der Durchführung unserer Studien in den letzten Jahren unterstützt haben und somit auch das Zustandekommen dieses Buches möglich gemacht haben.
Das sind vor allem die zahlreichen vorschulischen Einrichtungen und deren Leitungen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Hamburg, die uns entweder die Kontakte zu Familien mit einem hörgeschädigten Kind vermittelt haben oder die sich selbst die Mühe gemacht haben, Fragebögen auszufüllen, Recherchen durchzuführen etc. und dafür viel Zeit und Energie investiert haben. Wir wissen, dass solche Aktivitäten immer neben der normalen Arbeit, die Zeit genug in Anspruch nimmt, erledigt werden müssen. Umso mehr wissen wir das zu schätzen und sind sehr dankbar für die Unterstützung, die wir in vielen Projekten der letzten Jahre erfahren haben.
Dank gilt auch den Eltern mit hörgeschädigten Kindern der vorschulischen Einrichtungen in Bayern, die Fragebögen für uns ausgefüllt haben.
Dank geht weiter an die ehemaligen Studierenden der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeiten zur Erhebung zahlreicher Daten, die hier vorgestellt werden, beigetragen haben: Lena Krieger, Judith Piskora, Martina Schulz, ebenso wie an Gertrud Lehmann-Tremmel, die bei der Befragung von Eltern bayerischer Vorschul- und Schulkinder als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Forschungsprojekt tätig war.
Dank geht ebenso an die Pädagogische Hochschule Heidelberg, die die Durchführung der Studie, die in Kapitel 2.1 vorgestellt wird, aus ihren Forschungsmitteln mitfinanziert hat.
Schließlich gilt auch dieses Mal unser Dank dem Median-Verlag, und wie immer vor allem Christina Osterwald, die unser Buchprojekt wie gewohnt mit ruhiger Hand begleitet und zu einem guten Ende gebracht hat.
Heidelberg/München, im Februar 2016
Manfred Hintermair
Klaus Sarimski
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Erster Teil: Stand der Forschung
1. Zur Entwicklung von hörgeschädigten Kindern im Vorschulalter – ein Blick in die Forschung
1.1 Sprachentwicklung
1.2 Vorläuferfähigkeiten zum Lesen
1.3 Vorläuferfähigkeiten von Rechenkompetenzen
1.4 Entwicklung sozial-kognitiver Fähigkeiten
1.4.1 Emotionen verstehen
1.4.2 Theory of Mind
1.4.3 Exekutive Funktionen
1.5 Entwicklung sozial-emotionaler Fähigkeiten
1.5.1 Verhaltensauffälligkeiten
1.5.2 Soziale Beziehungen
Zweiter Teil: Eigene Studien
2. Eigene empirische Studien zur Entwicklung hörgeschädigter Kinder im Vorschulalter
2.1 Familiäre Ressourcen, elterliches Belastungserleben und kindliche Verhaltensauffälligkeiten bei hörgeschädigten Kindern im Vorschulalter
2.2 Exekutive Funktionen und kindliche Verhaltensauffälligkeiten bei hörgeschädigten Kindern im Vorschulalter
2.3 Resilienzstärkende Faktoren und Kommunikation hörgeschädigter Kinder im Vorschulalter
2.4 Entwicklungsrelevante Kompetenzen hörgeschädigter und hörender Vorschulkinder in einer integrativen Tagesstätte
2.5 Beziehungsqualität zwischen hörgeschädigten Kindern im Vorschulalter und ihren Erzieherinnen
2.6 Sozial-emotionale, sprachliche und kognitive Entwicklung von hörgeschädigten Kindern im Vorschulalter aus Elternperspektive
Dritter Teil: Pädagogische Beurteilung und Empfehlungen
3. Pädagogische Beurteilung und Empfehlungen für die Förderung hörgeschädigter Kinder im Vorschulalter
3.1 Pädagogische Beurteilung des Unterstützungsbedarfs
3.2 Förderung der Sprachentwicklung
3.3 Förderung der Vorläuferfähigkeiten zum Lesen
3.4 Förderung der Vorläuferfähigkeiten zum Rechnen
3.5 Förderung sozial-kognitiver und sozial-emotionaler Fähigkeiten
Literatur
Die Autoren
Rezension
Prof. Dr. Dipl.-Phys. Thorsten Burger
Wenn die Autoren im Vorwort bemerken, zwischen Arbeiten zur Frühförderung auf der einen und solchen zur Schule auf der anderen Seite mit diesem Buch eine Lücke schließen zu wol-len, dann gelingt ihnen dies hervorragend und gleichzeitig bleibt es inhaltlich nicht lediglich bei diesem Lückenschluss. Das Buch in drei Teile zu unterteilen, macht es für die Leserin ausgesprochen gut handhabbar und überschaubar: wer direkt am pädagogischen Handeln interessiert ist, findet im dritten Teil klare – vielleicht etwas knappe – evidenzbasierte „Hand-reichungen“ zu Diagnostik und Förderung. Wer darüber hinaus an eben genau dieser Evi-denz interessiert ist, findet im ersten Teil schnell, weil thematisch angelehnt, eine aufgefä-cherte Darstellung zu Sprachentwicklung, Vorläuferfähigkeiten Lesen und Rechnen, sozial-emotionaler und sozial-kognitiver Fähigkeiten. Hier unternehmen die Autoren eine Herkules-arbeit, indem sie nahezu 300 Quellen sichten, einordnen und berichten. Eine wunderbare Fundstelle für jeden Forscher, der in diesem und verwandter Bereiche arbeitet.
Klingt trocken? Alles andere ist der Fall: Angenehm sachlich und gut nachvollziehbar gelingt es den Autoren, die Leser an unterschiedlichen Befunden und der Dialektik der Forschung teilhaben zu lassen und den aktuellen Stand der Forschung herauszuschälen.
Sehr hilfreich übrigens sind die jeweiligen Einleitungen der Unterkapitel, in denen sehr kon-densiert auf wenigen Seiten das Wissen/die Theorie zu der „normalen Entwicklung“ darge-stellt sind.
Und das zweite Kapitel? Hier berichten die Autoren ausführlich ihren eigenen Beitrag zum Stand der Forschung. Dass dies in vielen Teilbereichen fast identisch mit dem Stand der Forschung „an sich“ ist, spricht natürlich für die beiden Autoren. Eine integrierte Darstellung davon im ersten Teil des Buches wäre daher nicht ganz abwegig gewesen. Der Vorteil aller-dings ist, dass hier auch Leser, die nun nicht täglich Forschung betreiben, sehr transparent und gut lesbar Einblick gewährt wird, wie aus festgestellten empirischen Lücken Forschungs-fragen, Forschungsdesigns, Befunde und erneute theoretische Überlegungen werden.
Wer sollte dieses Buch lieber nicht lesen? Menschen, die sich durch Empiriefundierung in ihrer freien pädagogischen Entfaltung gebremst fühlen. Sicherlich auch Menschen, für die ideologisch eingefärbte Glaubenssätze für ihre Arbeit hilfreicher sind als differenziert-sachliche Darstellungen. Und wohl auch Menschen, die Ihre Zahlenabneigung durch Ver-meidung kurieren möchten. Für alle anderen: Sehr lesenswert!
Das Werk sollte jeden Kindergarten und jede Kindertagesstätte erreichen, z.B. über mobile inklusionsbegleitende Hörgeschädigtenpädagogen, und Standardwerk in der Ausbildung von Erziehern werden.
(Dr. Kirsten Ludwig, Frühförderung interdisziplinär 1/2018)